News und Hintergründe

Neues - Spannendes - Wissenswertes

WIR WÜNSCHEN VIEL SPASS MIT DEM HERESTA-BLOG

zurück zur Übersicht
18.07.2019

Die Crux mit dem Widerruf eines Testaments (aktualisiert)

Testamentarische Verfügungen sowie Bestimmungen in einem Ehe- und Erbvertrag sollten periodisch auf ihre Aktualität sowie Gesetzeskonformität hin überprüft werden; ebenso, ob die vorgesehene Ordnung überhaupt noch dem eigenen Willen entspricht. Dies kann notwendig machen, bisherige Verfügungen ganz oder teilweise aufzuheben. Welche Stolpersteine hierbei bestehen, illustriert der Erbstreit "Hirschmann".
Ausgangsfall
Ein Artikel der «NZZ» vom 26. Mai 2017 zeigt am Beispiel «Hirschmann» die Problematik überholter Verfügungen exemplarisch auf; im Wesentlichen: 2008 begünstigte Carl W. Hirschmann in einem Testament seine damalige Lebenspartnerin mit einem Vermächtnis von zehn Millionen Franken. 2010 reduzierte der Testator in zwei neuen letztwilligen Verfügungen diese Begünstigung beträchtlich und hob seine früheren Testamente ausdrücklich auf; zudem trennte sich das Paar. Alle Originale der 2010er-Verfügungen waren beim Tode Hirschmanns verschwunden – dafür tauchte wieder die Verfügung von 2008 auf, wobei dieses Dokument von einem engen Vertrauten des Verstorbenen hätte vernichtet werden sollen (was indes «versehentlich» nicht geschah). Der Streit um die mutmassliche Begünstigung zog sich vom Bezirksgericht Meilen zum Zürcher Obergericht. Einig waren sich die Beteiligten insofern, dass die Testamente aus dem Jahr 2010 infolge Vernichtung widerrufen worden seien. Während die ehemalige Lebenspartnerin daraus ableitete, dass nun das alte, wieder aufgetauchte Testament von 2008 gelte, stellten sich die Hirschmann-Erben auf den Standpunkt, dass die Verfügungen von 2010 zwar ungültig, jedoch als klare Willensbekundung zu verstehen seien, alle bisherigen Verfügungen seien aufgehoben (womit dann die gesetzliche Erbfolge in Kraft treten müsse). Die erste Instanz teilte diese letztere Argumentation, während das Obergericht die Ex-Lebenspartnerin schützte (Entscheid LB160085-O/U vom 26. April 2017): Es gehe nicht an, den vernichteten Testamenten aus dem Jahr 2010 eine «teilweise Wirkung» zuzuschreiben, denn: «Wird ein Testament vernichtet, so gelten die darin gemachten Verfügungen per definitionem nicht mehr.» Das aufgetauchte Testament von 2008 bleibe hingegen massgeblich – egal, ob es nur aus Versehen erhalten geblieben sein sollte und selbst wenn der Erblasser seine Ex-Partnerin nicht mehr habe begünstigen wollen. Letztlich fehlte nach dem Obergericht ein formgerecht ausgedrückter Widerrufswille. Das Bundesgericht hat diese Ansicht mittlerweile zurückgewiesen (s. letzter Absatz). 

Zur Theorie
Ein Ehevertrag, und damit auch eine in einem solchen enthaltene Begünstigung, kann nur mittels öffentlich beurkundetem Vertrag wieder aufgehoben werden. Der Erbvertrag kann durch schriftliche Übereinkunft der Parteien oder durch gemeinsame Vernichtung widerrufen werden, zumindest wenn der Text nach der Vernichtung nicht mehr rekonstruierbar ist. Ein kombinierter Ehe- und Erbvertrag kann daher in seiner Gesamtheit weder durch Vernichtung noch durch einfache Schriftform, sondern nur mittels öffentlicher Beurkundung aufgehoben werden.

Ein Testament dagegen kann entweder ausdrücklich in Testamentsform (handschriftlich oder öffentlich beurkundet) aufgehoben werden oder durch Vernichtung, ebenso (konkludent), indem der Erblasser ein späteres Testament errichtet, welches inhaltlich dem früheren zweifellos widerspricht.
Umstritten ist, wie Streichungen zu behandeln sind, und ob/welche Vernichtungshandlungen durch beauftragte Dritte rechtsgültig erfolgen dürfen. Eine Kopie, die den formellen Anforderungen genügt, bleibt beachtlich, solange nicht nachgewiesen ist, dass der Verlust des Originals auf einer willentlichen Vernichtung basiert. Wird das Testament ohne Willen des Testators (durch Zufall oder durch Dritte) vernichtet, so bleibt es gültig, vorausgesetzt, der Inhalt lasse sich rekonstruieren. Wird der Widerruf seinerseits formgültig widerrufen, so lebt (gemäss vorherrschender Auffassung und undifferenziert hinsichtlich der Aufhebungsart) das ursprüngliche Testament wieder auf (selbst wenn das Original nicht mehr vorhanden ist), sofern der Wille des Testators zum Ausdruck kommt, das ursprüngliche Testament solle wieder Gültigkeit erlangen.

Zum konkreten Fall
Die Testamente Hirschmanns von 2010 waren vom Erblasser lebzeitig durch Vernichtung widerrufen worden. Dies war unter den Parteien vor zweiter Instanz nicht mehr strittig (erwies sich aus Sicht der Hirschmann-Erben taktisch jedoch als Bumerang). Das Problem war, dass damit auch der Widerruf der früheren Testamente mitaufgehoben wurde. Das Zürcher Obergericht folgerte daraus, dass das ursprüngliche Testament von 2008 wiederauflebt, da ein formgültiger Widerruf dieses Testaments nicht vorliege (dies ist ein Bekenntnis zu der für Testamente unter Beschuss geratenen und für Erbverträge aufgehobenen «Andeutungsregel», wonach der Wille des Erblassers in einer formgerechten Erklärung zum Ausdruck kommen muss, und es nicht genügt, den Willen alleine durch Externa festzustellen). Das Obergericht hat damit im Ergebnis entsprechend der Rechtslage in Deutschland (§ 2257 BGB) entschieden: «Wird der durch Testament erfolgte Widerruf einer letztwilligen Verfügung widerrufen, so ist im Zweifel die Verfügung wirksam, wie wenn sie nicht widerrufen worden wäre.» Im Ergebnis: Die Vernichtung des sogenannten Widerrufstestaments bei gleichzeitiger Nichtvernichtung des ersten Testaments von 2008 bringe zum Ausdruck, dass dem Widerrufstestament von 2010 (in Kopie vorliegend) keinerlei Bedeutung zukomme, während das erste Testament von 2008 bestehen bleiben soll. An diesem Ergebnis könne nichts ändern, dass zufällig eine Kopie der massgeblichen 2010er-Verfügung habe «gerettet» werden können, denn durch die Vernichtung sei die Rechtslage so zu beurteilen, wie wenn gar nie eine spätere Verfügung (inklusive Widerrufsklausel) existiert hätte, vgl. S. 28f. des Urteils:
«Hätte der Erblasser nach dem Widerrufstestament ein neues Testament welchen Inhalts auch immer erstellt, wäre dieses im Sinne von Art. 511 Abs. 1 ZGB an die Stelle des früheren getreten. Wäre in einem solchen neuen Testament lediglich die Aufhebung desjenigen vom 17. März / 27. Juni 2010 verfügt worden, dann hätte sich die Frage des Wiederauflebens des ersten Testaments (vom 7. November 2008) im Sinne der besprochenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung stellen können [...]. Mit der Vernichtung des Testaments vom 17. März / 27. Juni 2010 vor dem Tod des Erblassers bestand dieses hingegen im Zeitpunkt, in welchem es erst Wirkung hätte zeitigen können, bereits nicht mehr. Der in Ziff. 7 des vernichteten Testamentes erfolgte Widerruf konnte nicht zum Tragen kommen, weil Verfügungen von Todes wegen zu Lebzeiten des Erblassers in keinem Fall Wirkungen haben [...], weshalb sich auch die Frage des Wiederauflebens des ersten Testamentes (vom 7. November 2008) nicht stellte. Die Vernichtung des Widerrufstestamentes vor dem Tod hat insoweit nicht dieselbe Wirkung wie der durch letztwillige Verfügung erfolgte Widerruf des Widerrufstestamentes...»

Diese (doch wohl ziemlich formalistische und das Willensprinzip nicht aus der Gesamtperspektive betrachtende) Auffassung widerspricht indes der herrschenden schweizerischen Lehre, wonach im Erbrecht nach ZGB eine solche Vermutung (analog BGB) nicht bestehe: Vielmehr muss demnach in einem solchen Fall – gerade umgekehrt – der testamentarische Wille des Erblassers, das widerrufene Testament wiederaufleben zu lassen, ersichtlich sein. Wurde das Testament von 2008 jedoch unbestrittenermassen irrtümlich durch den beauftragten Dritten nicht vernichtet, so scheint die Willensmeinung zur (Un-)Gültigkeit des Testators dieser Verfügung klar. Daher ist kaum anzunehmen, dass das letzte (bundesgerichtliche) Wort in diesem Streitfall bereits gesprochen ist. Setzt sich die Auffassung des Obergerichts jedoch letztinstanzlich durch, so würden im Ergebnis – hinsichtlich der Wirkung – verschiedene Klassen (statt Gleichordnung) von Aufhebungstatbeständen geschaffen. Dies wäre der Rechtssicherheit abträglich, da ein Erblasser (in derselben Absicht) durchaus (ebenso) zufällig entweder sein Testament vernichtet oder aber handschriftlich dessen Aufhebung verfügt. Dem obergerichtlichen Argument, eine bereits lebzeitig vernichtete Urkunde könne keinerlei Wirkung haben, widerspricht zudem die anerkannte Praxis, wonach auch vernichtete Testamente der Eröffnungsbehörde im Sinne von Art. 556 ZGB einzuliefern sind. Und dass es sich bei der Vernichtung um eine (blosse) Tatsache handelt, während beim testamentarischen Widerruf eine Verfügung von Todes wegen vorliege, hindert m.E. nicht, der Vernichtung die Wirkung einer letztwilligen Verfügung zuzuerkennen; schliesslich werden auch formlose erblasserische Willensäusserungen über die (Nicht-)Ausgleichung von der Lehre und Praxis unbestrittenermassen (in materieller Hinsicht) als Verfügungen von Todes wegen qualifiziert.

Nachdem der höchstpersönliche Vernichtungsauftrag doch wohl nicht in die Erbmasse fiel und die Vernichtung durch Dritte erbrechtlich überwiegend als zulässig erachtet wird, bliebe obligationen- und strafrechtlich zu prüfen, ob der säumige Dritte (Rechtsanwalt) die Vernichtung des Testaments von 2008 nicht noch heute nachholen dürfte (analog höchstpersönlicher Anweisungen des Erblassers an einen Willensvollstrecker), wenn doch die (bisherige) Nichtvernichtung einen «Kunstfehler» darstellt. Eine weitere Möglichkeit zur Vermeidung solcher Unklarheiten wäre (gewesen), die Begünstigung der Lebenspartnerin von Beginn weg an die Bedingung zu knüpfen, dass die Lebensgemeinschaft im Zeitpunkt des Ablebens des Testators noch besteht.

Entscheid des Bundesgerichts (BGE 5A_69/2019)

Das Bundesgericht hat nun – mit Entscheid vom 20. Juni 2019 – den Fall abschliessend (im Sinne unserer einstigen obigen Kritik an den vorinstanzlichen Erwägungen) beurteilt. Es hat namentlich ausgeführt, dass die Vernichtung eines Testaments als solche nicht gleichzeitig (mithin automatisch) bedeuten muss, dass der Testator eine frühere Verfügung wieder in Kraft setzen will. Vorliegend war gar nicht ausgewiesen, ob der Erblasser überhaupt noch vom Bestand früherer Testamente wusste. Entscheidend ist gemäss Bundesgericht für die Konsequenz des Widerrufes eines Widerrufes ferner nicht, ob der Testator seine letzte Verfügung in der Form des eigenhändigen oder öffentlichen Testaments vornimmt oder durch Vernichtung der Urkunde, da alle Aufhebungsvarianten gemäss ZGB gleichwertig sind. Entscheidend ist vielmehr (in Bestätigung der früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung), dass im den Widerruf aufhebenden Testament der Wille des Erblassers zum Ausdruck kommt, das ursprüngliche, widerrufene Testament solle wieder Gültigkeit haben. Dieses Erfordernis war vorliegend (beweismässig) nicht erstellt.

Im Übrigen hat das Bundesgericht interessante Überlegungen zur Frage angestellt, ob/welche Rechtswirkungen einem Testament zukommen, welches nicht mehr im Original, sondern «nur» in Form einer Kopie vorliegt. Es hat hierbei (zu Recht und im Ergebnis analog der deutschen Praxis) festgehalten, dass die Testamentsform Gültigkeits- und nicht Beweisform ist (Art. 510 Abs. 2 ZGB analog). Dies bedeutet, dass die Testamentskopie nicht unbeachtlich ist, solange das Original in einer gültigen Form errichtet worden war. Oder umgekehrt: Für den Nachweis des Erblasserwillens ist das Vorliegen der formgerechten Urkunde im Original nicht erforderlich. Etwas anderes gilt freilich, wenn das Originaltestament deshalb nicht mehr vorhanden ist, weil der Testator es in Aufhebungsabsicht vernichtet hatte (Art. 510 Abs. 1 ZGB).

Wir beraten Sie gerne in unseren Büros in Schaffhausen und Zürich oder auch Online oder auf Wunsch bei Ihnen zu Hause.
JETZT TERMIN
VEREINBAREN
E-MAIL HERESTA
info@heresta.ch
TELEFON
+41 52 632 10 00
Cookie-Zustimmung verwalten
Diese Webseite verwendet Technologien wie Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen, die Benutzerfreundlichkeit und das Angebot zu verbessern und die Leistung der Website zu messen und verbessern zu können. Wenn Sie Ihre Zustimmung nicht erteilen oder zurückziehen, können bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional
Immer aktiv
Die funktionellen Technologien sind erforderlich, um die Kernfunktionalität und das Basis-Benutzererlebnis der Website gewährleisten zu können.
Statistiken
Die statistischen Technologien ermöglichen es, die Nutzung der Website zu analysieren, um die Leistung messen und verbessern zu können.
Zustimmung verwalten
powered by webEdition CMS