Unentgeltliche Zuwendungen an Vertrauenspersonen sind (rechtlich und moralisch) heikel
Der (Boulevard-)Aufschrei war gross: Die Krankenpflegerin erbte nach dem Krebstod (2015) des Patienten dessen Einfamilienhaus. Die Begünstigung basierte auf einem öffentlichen Testament von 2012. Noch am Tag ihres Grundbucherwerbs soll die Begünstigte das Grundstück weiterverkauft haben. Das riecht nach Abzocke (vgl. zur Thematik auch Abt, in successio 2010, S. 195ff.: «Fälle, die für jeden prima-vista-Betrachter stinken»)!
Die «Pflegeverbände sind entsetzt», denn Krankenpfleger dürfen (ausser Höflichkeitsgeschenke von geringem Wert) keine Schenkungen von Patienten annehmen. Der Vorwurf geht noch weiter: Die Pflegerin habe der Spitalleitung Wetzikon bei Eintritt des Krebspatienten «verschwiegen, dass sie zukünftige Erbin ihres Patienten sei». Die Pflegerin beruft sich auf eine «tiefe Freundschaft», welche seit 2010 (und damit vor der Betreuung im Spital Wetzikon) angedauert habe, was auch der Grund dafür war, dass die Spitalleitung nichts gegen den Erbantritt ihrer Angestellten einzuwenden hatte, zumal der Patient nicht in der Abteilung der erbbegünstigten Pflegerin verstorben sei («Das ist kein Skandal»). Dies wiederum hinterfragt die «Schweizerische Vereinigung gegen Erbschleicherei», welche die Frage nach der Urteilsfähigkeit des Patienten bei einer Zuwendung dieser Grössenordnung aufwirft. Und der «Blick» ist geradezu erzürnt: «Wenn sich eine Pflegerin beschenken lässt und die Spitalleitung dagegen nichts unternimmt, öffnet sie der Korruption [sic!] Tür und Tor. Das kann nicht im Sinne des Spitals sein – und schon gar nicht im Sinne des Patienten.»
Das Problem
Dem letzten Halbsatz ist in dieser Absolutheit zu widersprechen, da es nicht darum gehen kann, einem solchen Erblasser von vornherein jegliche Entscheidungsbefugnis über seinen Nachlass abzusprechen. Was ist es nun aber? Tatsächlich eine skandalöse Abzockerei?
In solchen Situationen kommt es stark auf die Umstände des Einzelfalles – namentlich die subjektiven Begleitumstände (Zweck und Motiv) – an, so dass eine Abwägung vorzunehmen ist – gerade im vorliegenden Fall, da die Beziehung zwischen dem Testator und der Begünstigten auch auf (spital-)externen Faktoren basierte. Generell: Besteht neben dem beruflichen Verhältnis bereits vor der Betreuung seit langem ein nahes persönliches Verhältnis zwischen den Parteien und ist die Initiative zum Rechtsgeschäft alleine vom urteilsfähigen Zuwender ausgegangen, ist nach unserer Auffassung wenig gegen die Zuwendung vorzubringen. Problematisch(er) erscheint die Situation, da ein Vertrauter für den Erblasser mitunter langjährige Dienstleistungen erbringt, wobei Letzterer verkennt, dass er den mutmasslichen Erbschleicher für seine Dienste ja bezahlt. Eine Schablonisierung verbietet sich jedenfalls: Denn «wenn nun aber (gewissermassen die dritte Variante) im Rahmen einer kontinuierlichen, länger dauernden geschäftlichen Beziehung ein atypisches Geschäft (immerhin Schenkung von Liegenschaften im Wert von über 1,5 Mio. CHF) abgeschlossen wird, so überschneiden sich die Bereiche: die geschäftliche Beziehung wird zu einer (auch) privaten» (Breitschmid, in successio 2007, S. 186f.).
Die Rechtslage
Es ist zunächst zwischen arbeits- und erbrechtlichen Aspekten zu unterscheiden. Nimmt ein Arbeitnehmer – entgegen der Weisung des Arbeitgebers – von einer Drittperson persönliche Zuwendungen entgegen, kann dies arbeitsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen (wobei hier Erfüllungsklagen zwar theoretisch möglich sind, praktisch jedoch kaum vorkommen). Auch arbeitsrechtliche Weisungen müssen jedoch ver-hältnismässig sein und grundsätzlich mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen. Das Verbot der Schenkungsannahme (wobei in der Regel übliche Gelegenheitsgeschenke vom Verbot ausgenommen sind) ist damit zu unterscheiden von der Meldepflicht: Wollte man eine Arbeitnehmerin dazu verdonnern, testamentarische Begünstigungen zu melden, so wäre eine solche Anzeige im Verhältnis zum Testator wohl als Persönlichkeitsverletzung (Art. 28 ZGB) zu werten, da ohne genügende Rechtfertigung in dessen Geheimnissphäre eingegriffen würde. Kommt hinzu, dass eine testamentarische Zuwendung jederzeit – und durch den Verfügenden alleine, mithin auch «im stillen Kämmerlein» – widerruflich ist und folglich weder die Begünstigte selber noch ihr Arbeitgeber effektiv davon ausgehen können, dass die potentielle Erbschaft bzw. das Vermächtnis letztlich überhaupt relevant werden. Eine in diesem Sinn «standesrechtliche» Sanktion erscheint somit (im Gegensatz zu lebzeitig anerbotenen oder gar vollzogenen Schenkungen) als verfrüht. Besteht die Begünstigung im Erbfall immer noch und setzt sich die Arbeitnehmerin über die arbeitsrechtliche Weisung hinweg, indem sie die Zuwendung annimmt, fällt damit in erbrechtlicher Hinsicht die Begünstigung nicht automatisch als «nichtig» weg; m.a.W.: Selbst ein bewusster «Bruch» mit einer Standesregel bewirkt per se noch nicht die Ungültigkeit einer testamentarischen Zuwendung, sondern nur, wenn ein gewisser Schweregrad der Verletzung erreicht ist.
Kommt hinzu, dass es nach dem elementaren erbrechtlichen Grundsatz des Willensprinzips Sache des Erblassers ist, wem er sein Vermögen zukommen lassen will. Solange er weiss, was er tut, ist es grundsätzlich nicht zu hinterfragen, wenn der Erblasser einen Teil seines Vermögens lieber einer Drittperson als seinen Verwandten (oder gar dem Staat) zukommen lässt. Im vorliegenden Fall lag ein öffentlich beurkundetes Testament vor, so dass eine (wenn auch nur summarische und unpräjudizielle) Beurteilung der Urteilsfähigkeit des Testators durch den Notar und die beiden Zeugen erfolgt ist. Anrecht auf ein Erbe haben nur pflichtteilsgeschützte Erben. Der Pflichtteilsschutz steht Nachkommen, (zurzeit noch) Eltern sowie dem überlebenden Ehegatten zu. Weiter entfernte Verwandte, so sie überhaupt gesetzliche Erben sind, haben grundsätzlich hinzunehmen, dass sie vom Erbe ausgeschlossen werden. Selbst bei einer Pflichtteilsverletzung erfolgt keine automatische Korrektur, sondern der Übergangene muss sich innert Frist seinen Anspruch erstreiten; er kann demzufolge – etwa aus kosten- oder moralischen Gründen, bzw. um den Willen des Erblassers zu respektieren – auf eine solche Anfechtung verzichten. Denkbar ist auch, dass der pflichtteilsgeschützte Erbe seinen Erbteil bereits zu Lebzeiten bezogen hatte, so dass ihm nun beim Ableben des Zuwenders nichts mehr zusteht. Und es ist auch bei verwandten Erben keinesfalls aussergewöhnlich, dass sie Liegenschaften aus dem Nachlass nicht selber bewohnen, sondern an Dritte veräussern...
Dies bedeutet nun freilich nicht, dass bei Zuwendungen an Vertrauenspersonen quasi ein «rechtsfreier Raum» vorliegen würde: Hat sich der Erblasser nachweisbar über den Umfang einer Zuwendung oder Eigenschaften der Bedachten geirrt oder widerspricht die Verfügung dem allgemeinen Anstandsgefühl, so ist diese (grundsätzlich innert Jahresfrist, vgl. Art. 521 ZGB) durch jedermann anfechtbar, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde (Art. 519 ZGB). Dies gilt auch, falls sich die Verfügung aufgrund einer Gesamtbetrachtung als sittenwidrig erweist. Das kann im Einzelfall bei einem Verstoss «gegen elementare Standesregeln, deren Zweck gerade darin besteht, von vornherein Interessenkonflikte und Zweifel über mögliche unerwünschte Beeinflussungen zu verhindern» (BGE 132 III 455) der Fall sein, gerade in Bezug auf die Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen. Von «Erbschleicherei» im eigentlichen Sinn wird dann gesprochen, «wenn eine Vertrauensperson durch Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses den Erblasser in seiner Willensfreiheit derart beeinträchtigt und (kausal) beeinflusst, dass dieser die Person auf deren Veranlassung hin [sic!] mit erbrechtlichen Zuwendungen begünstigt» (Abt, in Praxiskommentar Erbrecht, Rz. 41 zu ZGB 519).
Besteht ein solches intensives, über das eigentliche Kerngeschäft der Berufstätigkeit hinausgehendes Vertrauensverhältnis (und damit ein eigentliches Machtgefälle), so liegt bei der begünstigten Person regelmässig auch Erbunwürdigkeit vor (Abt, a.a.O., Rz. 34 zu Art. 540 ZGB). Der Unterschied zur Testamentsungültigkeit zufolge Sittenwidrigkeit liegt, darin, dass die Erbunwürdigkeit nicht innert Frist geltend gemacht werden muss, sondern jederzeit von Amtes wegen festzustellen und (vorab bei der Ausgestaltung der Erbenbescheinigung) zu berücksichtigen ist.
Folglich hat jeweils eine Abwägung im Einzelfall stattzufinden, wobei ein Vertrauensverhältlnis ohne weitere «verdächtige» Umstände m.E. nicht genügen kann, um am Willensprinzip zu rütteln. Es scheint daher gegenüber dem Erblasser fast schon despektierlich, solche Zuwendungen als «stinkende Fälle» zu betiteln.