Erbschaftsverwalter bei bekannter Zusammensetzung der Erbengemeinschaft?
Ein Erblasser hinterlässt als gesetzliche Erben drei Söhne, die alle die Erbschaft annehmen. Später wird ein Testament des Erblassers aufgefunden, worin zwei Söhne zugunsten des dritten Sohnes auf den Pflichtteil gesetzt werden. Die Erbfolge wird durch das Testament nicht verändert, die Zusammensetzung der Erbengemeinschaft bleibt gleich.
Ein Sohn erhebt daraufhin gestützt auf Art. 559 ZGB Einsprache gegen die Ausstellung der Erbenbescheinigung. Das zuständige Bezirksgericht nimmt diese Einsprache entgegen und verfügt, dass bis zur Beseitigung der Einsprache keine Erbenbescheinigung ausgestellt werde. Zudem ordnet das Gericht gestützt auf Art. 556 ZGB eine Erbschaftsverwaltung an.
Der begünstigte Erbe ficht dieses Urteil an und stellt sich auf den Standpunkt, die Einsprache stehe einem Ausstellen der Erbenbescheinigung im vorliegenden Fall nicht entgegen, da das Testament an der Erbfolge nichts ändert. Die Personen, die auf der Erbenbescheinigung aufzuführen seien, seien die gleichen, egal ob das Testament Bestand habe oder nicht. Das Obergericht wies seine Beschwerde ab, worauf der Erbe ans Bundesgericht gelangte. Dieses fällte nun ein erstaunliches Urteil. Es gab dem Beschwerdeführer einerseits Recht, nämlich in dem Punkt, dass im vorliegenden Fall die Erbenbescheinigung auszustellen sei, da die Erbfolge klar sei und das Testament nichts am Inhalt der Bescheinigung ändere. Es stellte mit deutlichen Worten klar, dass die Vorinstanz in Willkür verfallen ist, als sie dem Beschwerdeführer die Ausstellung der Erbenbescheinigung verweigerte. So weit so gut. Im zweiten Teil des Urteils, wo es darum geht, ob die Erbschaftsverwaltung unter diesen Umständen Bestand haben soll oder hinfällig ist, stellt sich das oberste Gericht dann auf den Standpunkt, die Ausstellung der Erbenbescheinigung stehe der Erbschaftsverwaltung nicht entgegen. Diese sei aufgrund der offenkundigen Konflikte zwischen den Erben und dem Sicherungsbedürfnis der uneinigen Erben vielmehr geradezu angezeigt.
Bemerkungen zu den erbrechtlichen Instituten Erbschaftsverwaltung (Art. 554 ZGB) und Erbenvertretung (Art. 602 ZGB)
Wie eingangs erwähnt, kennt das Schweizerische Erbrecht verschiedene Institute, die vermeiden sollen, dass eine Erbschaft ohne Verwaltung bleibt. Dies ist einerseits die Erbschaftsverwaltung. Diese kommt immer dann in Betracht, wenn die Erbfolge unklar ist. Dies kann sein, weil die Ermittlung der gesetzlichen und/oder eingesetzten Erben aufwändig ist und längere Zeit in Anspruch nimmt oder auch in Fällen, wo ein Testament vorliegt, das die Erbfolge verändert und von den gesetzlichen Erben angefochten wird. Die Gemeinsamkeit der Anwendungsfälle der Erbschaftsverwaltung ist stets, dass nicht klar ist, wie sich die Erbengemeinschaft zusammensetzt. Als zweites erbrechtliches Institut kennt das ZGB die Funktion des behördlich ernannten Erbenvertreters nach Art. 602 Abs.3 ZGB. Dieses Institut kommt dann zur Anwendung, wenn zwar klar ist, wie sich die Erbengemeinschaft zusammensetzt, diese jedoch aufgrund der Unfähigkeit der Erben, gemeinsam zu handeln (Einstimmigkeitsprinzip), blockiert ist. Die Hürden für die Ernennung eines behördlichen Erbenvertreters sind bewusst hoch angesetzt. Schliesslich darf von handlungsfähigen Personen grundsätzlich erwartet werden, dass sie sich der Verantwortung, die sich aus ihrer Erbenstellung ergibt, bewusst sind und sich entsprechend zusammenraufen können, um den gemeinsamen Zweck der Erbengemeinschaft (die Verwaltung und Teilung der sie verbindenden Erbschaft) zu erfüllen.
Kommentar zum vorliegenden Bundesgerichtsentscheid
Das Bundesgericht scheint im vorliegenden Entscheid diese beiden Institute zu verwechseln bzw. zu vermischen. Im ersten Teil des Urteils stellt es klar fest, dass keine Unklarheit über die Zusammensetzung der Erbengemeinschaft besteht und – folgerichtig – die Erbenbescheinigung auszustellen ist. Im zweiten Teil hingegen argumentiert es mit der zwischen den Erben bestehenden Konfliktsituation, die eine Erbschaftsverwaltung durch eine neutrale, aussenstehende Person notwendig erscheinen lasse. Den berechtigten Einwand des Beschwerdeführers, dass es von vornhinein an den Voraussetzungen für die Anordnung der Erbschaftsverwaltung fehle, wischt das Gericht in einem Handstreich weg und verweist dabei auf Kommentarstellen, die keineswegs einschlägig sind (E.4.2.).
Die im Urteil vertretene Auffassung, wonach Art. 556 Abs. 3 ZGB (als Anwendungsfall von Art. 554 Abs.1 Ziff. 4 ZGB) eine Grundlage sei, in Konstellationen wie der vorliegenden eine Erbschaftsverwaltung anzuordnen, ist schlichtweg falsch. In E. 4.3. des Entscheids steht dazu dieser bemerkenswerte Satz: «Dabei kann eine Erbschaftsverwaltung insbesondere eingesetzt werden, wenn die Verwaltung durch die Erben oder den Willensvollstrecker ein besonderes Risiko beinhaltet, insbesondere mit Bezug auf die Auslieferung der Vermögenswerte an die besser berechtigten Erben, etwa weil die Erben uneinig sind oder weil die Situation unter ihnen unklar ist.». Das Gericht scheint zu übersehen, dass es in der vorliegenden Konstellation gar keine «besser berechtigten Erben» geben kann, da – wie im ersten Teil dargelegt – die Zusammensetzung der Erbengemeinschaft ohne jeden Zweifel feststeht. Die nach dem zitierten Satz angefügten Verweise auf ältere Gerichtsentscheide sowie auf einen Aufsatz erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht stringent. Keiner der zitierten Entscheide bezog sich auf eine Konstellation wie die vorliegende. Vielmehr lag der Mehrheit der zitierten Entscheide eine Konstellation zugrunde, in der sich eingesetzte Erben einerseits und gesetzliche Erben andererseits gegenüberstanden sowie in einem Fall eine Konstellation, bei der (in einem Nachlass mit Auslandberührung) die Erbenqualität einer gesetzlichen Erbin strittig war.
Bei Lichte besehen ist es wohl so, dass das Gericht beim Erlass des Entscheids viel eher das Institut des behördlichen Erbenvertreters vor Augen hatte, bei dem eine Argumentation mit der Zerstrittenheit der Erben durchaus zu einer Gutheissung des Antrags führen kann. Jedoch bedürfte es dafür eines Antrags eines Erben. Diesem Konzept entsprechen wird der Erbenvertreter denn auch eingesetzt, während die Erbschaftsverwaltung von Amtes wegen angeordnet wird. Und nun schauen Sie mal, welche Formulierung das Bundesgericht in dem vorstehend zitierten Satz verwendet hat...
Der vorliegende Entscheid erweist sich darüber hinaus in den zwei beurteilten Punkten als widersprüchlich. So handelt es sich bei der Erbenbescheinigung um ein Verfügungsinstrument für die (unter Vorbehalt der erbrechtlichen Klagen) feststehenden Erben gegenüber Dritten, namentlich Banken oder Grundbuchämtern. Zufolge des im Rahmen einer Erbengemeinschaft geltenden Einstimmigkeitsprinzips haben (zumal bei Fällen ohne Willensvollstrecker) bis zur Erbteilung grundsätzlich stets alle Erben an Verwaltungs- und Verfügungshandlungen mitzuwirken bzw. solchen zuzustimmen. Indem das Bundesgericht das Nichtausstellen der Erbbescheinigung (zu Recht) als willkürlich taxiert hat, da das Einstimmigkeitsprinzip unabhängig der einzelnen Erbquoten gilt, hat es die Verfügungsbefugnis faktisch den gesetzlichen Erben zugesprochen. Daher geht ohne Widerspruch nicht an, diese Befugnis durch die Hintertür mittels «Einsetzung» der Erbschaftsverwaltung wieder einzuschränken. Art. 556 Abs. 3 ZGB sieht nur das eine oder das andere vor. Das Ausstellen einer vorbehaltlosen Erbbescheinigung unter gleichzeitiger Anordnung der Erbschaftsverwaltung ist ein Konstrukt, das es im vorliegenden Fall der gesetzlichen Erbfolge gar nicht geben kann/darf, auch wenn die Erbquoten unter diesen Erben erblasserisch abgeändert worden sind: Die diesem Entscheid zugrunde gelegte Prämisse, die gesetzlichen Erben seien, in Bezug auf die Quotenveränderung, gleichzeitig auch eingesetzte, ist für den vorliegenden Problemkreis jedenfalls völlig irrelevant.