Die Psychologie der Worte
Die heilsame Erkenntnis, dass es der andere «nicht so gemeint» hat, ist ein wichtiger Schritt in der Verarbeitung von verbalen Verletzungen. Leider bleibt dies den Empfängern letztwillig adressierter Anordnungen oft verwehrt. Unbedarfte Formulierungen in Testamenten sind ein grosses Problem. Auch wenn es materiellrechtlich keinen Unterschied macht, ob ich schreibe, dass ich «mein Kind auf den Pflichtteil setze» oder ob ich die Wendung benutze, «dass ich die freie Quote meines Nachlasses dieser oder jener Person zuwende», haben diese beiden Formulierungen psychologisch eine andere Wirkung auf die adressierte Person. Die erste Formulierung ist negativ konnotiert und hat etwas «Bestrafendes», während die zweite Formulierung aus der positiven Perspektive formuliert ist, nämlich, dass die Erblasserin etwas Gutes tun wollte, indem sie jemanden bedacht hat. Dieses kleine Beispiel zeigt, wie wichtig gut durchdachte und dem (materiell und kommunikativ) tatsächlich Gewollten angepasste Formulierungen in letztwilligen Verfügungen sind. Dieser Aspekt geht in vielen Testamentsberatungen und auch in der Ratgeberliteratur leider allzu oft vergessen.